G. Graenert u.a. (Hrsg.): HÜBEN UND DRÜBEN

Cover
Titel
HÜBEN UND DRÜBEN – Räume und Grenzen in der Archäologie des Frühmittelalters. Festschrift für Prof. Max Martin zu seinem fünfundsechzigsten Geburtstag


Herausgeber
Graenert, Gabriele; Marti, Reto; Motschi, Andreas; Windler, Renata
Reihe
Archäologie und Museum 48
Erschienen
Liestal 2004: Archäologie und Museum Baselland
Anzahl Seiten
329 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Urs Niffeler

Achtzehn Basler und Münchner Schülerinnen und Schüler des Jubilars haben sich zusammengetan, um ihrem Lehrer, dessen Tätigkeit für sie so wichtig und wegweisend war, ein würdiges Geschenk vorzubereiten. Die siebzehn Beiträge befassen sich durchwegs mit Themen aus der Archäologie des Frühmittelalters, zur Hauptsache zu Objekten und Fragestellungen in der nordalpinen Schweiz und Süddeutschland. Sie bilden ein «Hüben und Drüben», nicht nur was die betroffenen Räume angeht sondern auch was Zeiten und was die spezifischen Thematiken der Einzelaufsätze betrifft.

Charakteristisch an Max Martins Lehrtätigkeit sei, wie die Herausgeber/innen im Vorwort darlegen, das Kombinieren, Vernetzen, Zusammenführen, die Zusammenschau gewesen. In welchem Umfang seine Schülerinnen und Schüler dies verinnerlicht haben und nun umsetzen, wird an vielen Stellen in der Festschrift spürbar. Wörtlich erscheint der Gedanke im Aufsatz von Carola Jäggi und Hans-Rudolf Meier, welche die in ihrem Thema (Genese der Krypta) angelegte Verbindung von französisch- und von deutschsprachiger Forschung und den Transfer Methoden und Ergebnissen als spezielle Hommage an den Jubilar bezeichnen.

Überfliegt man die Titel der einzelnen Beiträge, so fällt dem nicht im Bereich Frühmittelalter Spezialisierten auf, dass sich nach wie vor die Mehrheit der Arbeiten mit «Tracht“ (9 Artikel) befasst, einem der Hauptthemen der Frühmittelalterarchäologie zu seiner Studienzeit. Auch die Beiträge zur Kirchenarchäologie stehen in einer reichen Forschungstradition – was den Wert der Resultate natürlich keineswegs schmälert; die Erkenntnis etwa, dass Gallien entgegen älterer Auffassung durchaus einen Beitrag zur Entwicklung der Krypta geliefert hat, ist unzweifelhaft interessant.

Neu und für den Schreibenden daher anziehender sind Fragestellungen, die – ganz in der von Max Martin geforderten und geförderten transdisziplinären Betrachtung – Beiträge zum Verständnis der kulturgeschichtlichen Entwicklung zu leisten. Dazu nur zwei Beispiele: Renata Windler geht anhand von Funden vom oberen Zürichsee und vom Walensee sowie mittels Überlegungen zur dortigen Verkehrsgeographie der Frage nach, wie sich Grenz- resp. Verbindungszonen – in diesem Fall zwischen Alamann(i)en und Churrätien/Romanen – im Fundbild abzeichnen und wo, wann und in welchen Zusammenhängen germanische und romanische Elemente fassbar werden. Als materielle Basis für die konkrete Untersuchung dienen neben dem Verkehrsnetz die Kirchen und Höhensiedlungen sowie die reich ausgestatteten Gräber. Bei letzteren stellt die Autorin fest, dass in manchen Zonen neben der Spatha öfters einer Schild beigegeben werden, in anderen jedoch «nur» Spatha, sie zudem seltener; ferner finden sich im zweit genannten Gebiet Trachtbestandteile mit Parallelen im Westen und nicht im Norden. R. Windler deutet die entsprechenden Areale als alamannisches (Spatha/Schild) resp. romanisches (nur Spatha) Siedlungsgebiet. Die Interpretation scheint dem Schreibenden schlüssig und überzeugend. Indessen: im Fall von Schaan erzeugt sie mit ein Problem. Dort wurden im Bereich der Kirche waffenlose Gräber gefunden – traditionell als Romanenbestattungen bezeichnet – und in einer davon abgesetzten, anscheinend zeitgleichen Nekropole Waffen Führende, Alamannen nach traditioneller Lesart (freundl. Hinweis U. Mayr, Landesarchäologie FL). Greift hier R. Windlers Erklärungsmodell nicht? Oder hat man die waffenführende Nekropole als Friedhof einer Sippe der Oberschicht, die bei der Kirche Bestatteten hingegen als «einfaches Volk» zu interpretieren?

Reto Marti beispielsweise nutzt Keramik aus der Nordwestschweiz als Indikatoren für gesellschaftliche und kulturräumliche Veränderungen. Er geht damit von einer Materialgruppe aus, bei der allein durch die Menge die Gefahr von Ausnahmeerscheinungen weit geringer ist als etwa bei Kirchen. Zudem verwendet er Resultate aus einem vergleichsweise jungen Zweig der Frühmittelalterarchäologie, nämlich der Siedlungsforschung. R. Marti verbindet die beiden Quellen, konkreter: das Verbreitungsbild bestimmter Keramiktypen und das Vorhandensein von Töpferöfen einige Kilometer südlich von Basel. Damit zeichnet er ein faszinierendes Bild einer dynamischen Entwicklung, von der hier nur ein, zwei Elemente genannt seien: Im späten 6. Jh. Zuwanderung von Siedlern aus dem Elsass, deren mitgebrachtes Geschirr jedoch die traditionelle lokale Keramikproduktion nicht zu beeinflussen vermocht. Im 7. Jh. Ausbildung eines spezialisierten und auf Export ausgerichteten Töpfereizentrums, dessen Entstehen wegen der unverzichtbaren Ressourcen (Holz, Ton, Wasser) von mächtigen Grundbesitzern aus der hohen und höchsten Elite zumindest gefördert, wenn nicht initiiert wurde – was seinerseits auf Veränderungen in der Herrschaftsstruktur hinweist. Der Artikel sei auch – oder: gerade? – Nicht-Frühmittelalterfachleuten wärmstens zur Lektüre empfohlen.

Zitierweise:
Urs Niffeler: Rezension zu: Gabriele Graenert, Reto Marti, Andreas Motschi, Renata Windler (Hrsg.) HÜBEN UND DRÜBEN – Räume und Grenzen in der Archäologie des Frühmittelalters. Festschrift für Prof. Max Martin zu seinem fünfundsechzigsten Geburtstag. Archäologie und Museum 48. Liestal 2004. 329 S., zahlreiche Abb. Zuerst erschienen in: Jahrbuch der Schweizerischen Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte, Nr. 88, 2005, S. 403-404.

Redaktion
Autor(en)
Beiträger
Zuerst veröffentlicht in
Weitere Informationen
Klassifikation
Region(en)
Thema
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit